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Rituale, nicht der Glaube, begründen den sozialen Zusammenhalt innerhalb religiöser Gemeinschaften

Rituale, nicht der gemeinsame Glaube, liefern den Zusammenhalt, der religiöse Gemeinschaften über einem langen Zeitabschnitt zusammenhält, sagt einen Penn State Soziologe. "Mitglieder einer Versammlung können vermuten, dass sie einen gemeinsamen religiösen Glauben halten, aber es ist religiöse Rituale, das die Glaubensgemeinschaft begründet und aufrechterhält." sagt Dr. Daniel B. Lee Professor der Soziologie am Penn State Campus DuBois.

"Dieses ist ein wesentlicher Faktor für das Verstehen der sozialen Struktur der religiösen Gemeinden und des Verhältnisses zwischen Rituale und Glauben," bemerkt Lee. "Während eine Einzelperson einen aufrichtigen religiösen Glauben haben kann, hat eine Gruppe keinen allgemeinen Verstand und kann keinerlei Glauben haben. Glaube erreicht seine soziale Relevanz durch Handlungen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Handlungen entstehen, ist Religion sozial bedeutungslos."

Lee stellte heute (24. August) die Veröffentlichung "Über die soziale Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Religion" bei dem jährlichen Treffen der "American Sociological Association" vor. "Viele Religionsgruppen haben nie den Wunsch geäußert, allgemeine Glaubensregeln oder eine Orthodoxie
(Anmerkung: von griechisch "orthós" = "richtig, geradlinig" und "dóxa" = "Lehre, (Gottes-)Verehrung", also zusammen: 'Rechtgläubigkeit')
zu etablieren. Die gelebte Praxis ist typischerweise der entscheidende Punkt, auf den es ankommt", sagt Lee. "Die Mennoniten
(Anmerkung: auch "Altevangelisch Taufgesinnte" bzw. "Alttäufer" genannt; sie stellen eine reformierte christliche Konfession in der Tradition der Täufer da)
und Amischen sind hierfür gut Beispiele. Trotz der weithin bekannten und respektierten Übereinstimmung im Verhalten der zwei Gruppen, sind die religiösen Glaubensvorstellungen einzelner Mitglieder häufig fließend und nicht strukturiert."

Übersetzung von hier.

Performative Rituale im Alltag

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»Erziehung bei Tisch. Zum Zusammenhang von Rituale und Performativität« lautet der Arbeitstitel von Audehms Doktorarbeit. Anthropologen in aller Welt haben ein neues Forschungsgebiet entdeckt: AlltagsRituale. Früher studierten sie das Klassenbewusstsein brasilianischer Plantagenarbeiter oder Fruchtbarkeitstänze im afrikanischen Busch, heute finden sie ihre Forschungsobjekte in der eigenen Nachbarschaft, mitten in der modernen Gesellschaft.

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Und auch der kurze Kuss zwischen Liebenden, bevor sie schlafen gehen, hat eine tiefere Bedeutung, als lediglich Zärtlichkeit zu vermitteln. »Häufig werden diese Rituale erst dann bewusst vermisst, wenn sie einmal vergessen oder im Streit nicht vollzogen werden«, schreibt Lorelies Singerhoff in ihrem soeben erschienenen Buch Rituale (mvg Verlag). »Die Macht der Alltags-Rituale liegt darin, dass sie sich unendlich geschickt anpassen«, sagt der Anthropologe Christoph Wulf.

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Rituale bringen durch ihre Festlegung und Wiederholung einen vertrauen- erweckenden, beruhigenden Hintergrund ins Leben, hat Singerhoff festgestellt. Kindern, denen jeder Tag eine Fülle von Neuigkeiten bringt, gibt es ein Gefühl der Sicherheit, wenn sich manche Dinge nicht ändern: Jeder Abend muss vom Vorlesen der Gutenachtgeschichte bis zur exakten Reihenfolge Kuss - Zudecken - Licht aus genau gleich ablaufen. Und wehe, wenn der Babysitter dieses Rituale nicht kennt!

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»Das Schöne an den Ritualen ist, dass man nicht an sie glauben muss«, sagt der Indologe Axel Michaels, Sprecher des Sonderforschungsbereichs Ritualdynamik an der Universität Heidelberg, »man muss sie einfach nur machen.« Deshalb ist es auch für viele ungläubige Jugendliche selbstverständlich, zur Konfirmation oder zur Firmung zu gehen. »Auch bei einer Hochzeit müssen die Eheleute nicht an die ewige Liebe glauben, damit das Rituale gültig ist.«

[Quelle: Die Zeit - Wissen : Piep, Piep, Piep - Guten Appetit! Andrea Schuhmacher; ZEIT Wissen 06/2006]

Plädoyer für den Begriff der industriellen Massenkultur

[…]

"Im letzten Jahrzehnt ist das Interesse an einem Gebiet der modernen Lebenswelt gewachsen, das bis dahin weitgehend in einem wissenschaftlichen Niemandsland lag. Dies gilt in besonderer Weise für die Dinge und Zeichen, die als materielles und visuelles Inventar der sozialen Räume der industriellen Moderne vorzufinden sind und mit der Architektur die "objektive Kultur" bilden.
Ein inspirierender Impuls zur beginnenden Erforschung dieses Feldes ergab sich aus den innovativen Perspektivenbildungen der Alltagsgeschichte.(4) Bei Studien, die den lokalbezogenen Raum, die Geschichte "vor Ort", zum Gegenstand hatten, die Themen der Industriegeschichte oder der Industriearchäologie bearbeiteten, entwickelte sich an den entdeckten Spuren, den musealisierten materiellen Artefakten, Fotographien und unerschlossenen Zeugnissen, ein geschärfter Blick auf die großteils außerhalb einer reflexiven wissenschaftlichen Bearbeitung verbliebenen Felder der modernen Zivilisation.(5) Die neue Wahrnehmung führte dazu, dass sich unsere Aufmerksamkeit nicht allein auf die Historizität der Zeichen und deren semantische Kontexte richtete, sondern diese zunehmend als vielschichtig präsente, materielle Hinterlassenschaften der Alltagskultur und somit als Objektivationen des menschlichen Handelns erkannt wurden."

[…]

"In dieser Vermittlungsfunktion gewannen die Praktiker der Werbung weitreichende Bedeutung für die moderne Zivilisation, indem sie in strategischer Absicht attraktive Bilder hervorbrachten, um die Eigenschaftszuschreibungen und Gebrauchswertversprechen des Konsums den potentiellen Käufern gegenüber zunächst verbal und bald vor allem visuell zu präsentieren.
In diesem Konzept der industriellen Massenkultur sind somit die Alltagsrituale und -erfahrungen, die modernen Mythen und Symbole als Teil der Geschichte der Moderne eingeschlossen, ebenso die Folgen des Verbrauchs dieser industriellen Objekte und Ressourcen, wie sie sich als Umweltgeschichte darstellen.(17)"

[…]

Quelle: [Prof. Dr. Wolfgang Ruppert, UDK Berlin]

 

 


 

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