Unter einer Unterrichtsstörung versteht man Verhaltensweisen oder Ereignisse, die den Ablauf des Unterrichts in der Schule negativ beeinflussen.
Inhalt
Definition
Unterrichtsstörungen sind Ereignisse, die den Lehr-Lern-Prozess beeinträchtigen, unterbrechen oder unmöglich machen, indem sie die Voraussetzungen, unter denen Lehren und Lernen erst stattfinden kann, teilweise oder ganz außer Kraft setzen. Zu den Voraussetzungen zählen äußere und innere, das Lernen ermöglichende Bedingungen, wie z. B . physische und psychische Sicherheit, Ruhe, Aufmerksamkeit, Konzentration. Die Störungen können von Schülern oder Lehrern verursacht oder von außen hereingetragen werden, z. B. laute Zwischenrufe, verbale oder physische Attacken, Herumlaufen von Schülern; Hektik, Herumbrüllen oder Sarkasmus von Lehrern; Durchsagen, Baustellenlärm, Tiefflieger, plötzlicher Schneefall usw.
Quelle: Gert Lohmann: Mit Schülern klarkommen. Professioneller Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten. Berlin: Cornelsen Scriptor. 2003, S
Arten
Neben den Unterrichtsstörungen durch Schüler & Lehrer gibt es auch solche die aufgrund von äußeren Einflüssen (z.B. Lärm außerhalb des Klassenraums, unangemeldete Besucher, etc.) entstehen.
Schüler
Thomas Lutz nennt in seiner Monografie „Unterrichtsstörungen mit System begegnen“ folgenden Arten von Unterrichtsstörungen:
- Verbales Störverhalten (z. B. Gespräche mit Nachbarn, Streitigkeiten, Zwischenrufe, Schreien/vorlautes Verhalten, Geräusche machen (Singen, Schnalzen, unartikulierte Laute), negative Bemerkungen/Kommentare)
- Motorische Unruhe (z. B. Schaukelbewegungen, mit Stuhl kippeln, mit Füßen scharren, Herumlaufen, Spielen mit Arbeitsmitteln, Gegenstände/Finger in den Mund nehmen)
- Aggressives Verhalten (z. B. Mitschüler beschimpfen, beleidigen, bedrohen, angreifen (puffen, stoßen, treten), Wutausbruch, Arbeitsmittel wegnehmen, fremde Sachen beschädigen oder zerstören)
- Provokationen (z. B. Aufgaben oder Anordnungen verweigern, Mitarbeit unter Protest einstellen, Lehrer herausfordern und kritisieren, Sich-Lustig-Machen über „Fehler“)
- Geringe Mitarbeit (z. B. Fehlende Aufgaben und Materialien, Unaufmerksamkeit, Desinteresse, geistige Abwesenheit, Nebenbeschäftigungen)
Auch Eder, Fartacek und Mayr nehmen eine ähnliche Auswahl vor. Bei ihrer Aufzählung finden sich nahezu die gleichen Begrifflichkeiten (mit Ausnahme der Provokationen).
Lehrer
Laut Gert Lohmann gibt es neben dem Fehlverhalten der Schüler aber auch Störungen, die durch den Lehrer selbst ausgelöst werden. Diese lassen sich in die 3 Bereiche unterteilen:
- Beziehungs- und Kommunikationsebene (z. B. Launenhaftigkeit, negative Ausstrahlung, Respektlosigkeit, fehlender Humor),
- Unterricht (z. B. geringe Motivation und Kooperation, unklare Aufgabenstellungen, methodische Monotonie, Über- und Unterforderung von Schülern),
- Verhaltenskontrolle (z. B. Ignorieren von Störungen, inkonsequente und inkonsistente Reaktionen auf Störungen)
Anmerkung: "Auch das Lehrerverhalten ist nicht frei von Normen- und Wertekonflikten, da unterrichtliches Handeln tendenziell widersprüchlich angelegt ist. So steht die Forderung nach Gleichbehandlung aller Schüler (Gerechtigkeit) im Widerspruch zur Forderung nach individueller Förderung und Zuwendung (Fürsorge). Professionelles pädagogisches Handeln zeichnet sich u. a. in der Fähigkeit zum Ausbalancieren dieser Widersprüche aus." (Quelle: Gert Lohmann, s.o.)
Ursachen
Als häufigste Ursachen werden folgende Punkte aufgelistet:
- Langeweile
- Stress, Ermüdung und Belastungserscheinungen
- Anerkennung und Wertschätzung durch Mitschüler und Beachtung des Lehrers als „Klassenclown“
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsverluste
- altersgruppenspezifische Entwicklungserscheinungen
- Vorurteile gegenüber Schule, Lehrern und dem Bildungssystem
- situativ und sozial bedingte Beziehungsstörungen
- Persönliche Konflikte oder Probleme des Schülers
- Hintergrundprobleme, die aus dem Familienumfeld stammen
Prävention
Im Bereich der Unterrichtsplanung und -realisation ("Unterrichtshygiene")
- Aufgreifen der Motivations- und Interessenlage der Schülerinnen und Schüler
- Einbeziehen des Erfahrungshintergrundes der Kinder
- Ziele und Wege des Lehr-Lern-Prozesses offen legen und begründen (Transparenz)
- Didaktische Rhythmisierung des Lehr-Lern-Prozesses
- Didaktische Rhythmisierung des Unterrichtstages (Berücksichtigung der Tagesleistungskurve)
- motorische Entlastung / Pausen und Entspannung ermöglichen
- Variation und Passung ausgewählter Unterrichtsformen
- Einbeziehung differenzierender und individualisierender Lernangebote
- jedes Kind fördern und fordern
- Vertrauen in die Selbstverantwortlichkeit jedes Kindes für sein Lernen setzen (ohne zu über-/unterfordern)
- Variation und Passung ausgewählter Unterrichtsprinzipien (Selbsttätigkeit, Anschaulichkeit, Wiederholung, Übung, Festigung, Sozialformwechsel)
- Gestaltung der Lernumgebung und der Gruppierungsform
- durchdachte Organisation von Medien und Arbeitsmitteln
- Umgang mit Konflikten und Konfliktlösungsstrategien thematisieren und üben
- Umstrukturieren misslicher Situationen (Abweichen von der Planung)
- Einbeziehen von Konzentrationsübungen und Spielen (Stilleübungen, Phantasiereisen)
Im Bereich des Verhaltens der Lehrerin / des Lehrers ("Psychohygiene")
- eigenes Verhalten hinterfragen, überprüfen ("Wo liegen meine Anteile am Konflikt?")
- Überprüfen der individuellen Konfliktstrategien
- Überprüfen der eigenen Wahrnehmung (Sympathien, Vorurteile, Empfindlichkeiten)
- Abgrenzen: Störungen nicht als persönlichen Angriff - sondern als Problem des Kindes - bewerten
- Dominanz, Redeanteil im Unterricht überprüfen und ggf. dominierende Rolle relativieren
- neben dem Handeln und Tun das eigene Sprachverhalten überprüfen (Ausdruck von Wertschätzung/Geringschätzung)
- Formen der Verstärkung überprüfen (Lob, Bestätigung, Ermahnung)
- Formen der Reaktion auf Störungen überprüfen (Ignorieren, Reagieren)
- Konsequenzen aufzeigen und durchhalten
- eigenes Verhalten in seiner Modellfunktion wahrnehmen, überprüfen, einsetzen
- pädagogischer Takt: Annahme und Verständnisbereitschaft auch Kindern mit schwierigem Verhalten signalisieren
Im pädagogischen Bereich
- Einzelgespräche / Gespräche in der Gruppe führen (Stuhlkreisgespräche)
- Erziehungsmaßnahmen prüfen (Gewinner - Verlierer)
- konstruktive Konfliktlösungsstrategien anwenden (Mediation)
- störendes Verhalten umdeuten
- Regeln und Verabredungen treffen, begründen, hinterfragen
- Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen führen (Information, Erfahrungsaustausch, Abstimmung des Verhaltens)
- Elterngespräche führen
- Hilfe von außen suchen (Schulpsychologischer Dienst, Familienfürsorge, Sozialamt)
Quelle: Dagmar Wilde • IX, 2. SPS (L) Seminarpapier FS VU 9/94
Literatur
- Gert Lohmann: Mit Schülern klarkommen. Cornelsen, Berlin 2013, ISBN 978-3-589-23290-1.
- Hans-Peter Nolting: Störungen in der Schulklasse. Beltz, Weinheim und Basel 2012, ISBN 978-3-407-22935-9.
- Cathrin Rattay: Präventives Lehrerverhalten. In: Cathrin Rattay, Jost Schneider, Rainer Wensing, Oliver Wilkes (Hrsg.): Unterrichtsstörungen souverän meistern. 1. Auflage. Donauwörth, Auer 2011, ISBN 978-3-403-06799-3, S. 30–36.
- R. Miller: Lehrer lernen. Ein pädagogisches Arbeitsbuch für Lehreranwärter, Referendare, Lehrer und Lehrergruppen. Weinheim und Basel 1986 (Beltz) (S. 89 - 187).
- G. Becker: Durchführung von Unterricht. Handlungsorientierte Didaktik Teil II. Weinheim und Basel 1990 (Beltz).
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